Judo-Sport und Mecklenburg-Vorpommern. Da fallen verschiedene Namen ein: Andreas Preschel etwa. Oder Torsten Brechot. Oder Susi Zimmermann. Oder eben Ramona und Carmen Brussig vom PSV Schwerin.

 

Gerade die beiden Zwillingsschwestern, Jahrgang 1977, sorgten in den letzten 23 Jahren für zahlreiche judosportliche Erfolgsmomente für Mecklenburg-Vorpommern.

 

Fleißige Medaillen-Sammlerinnen seit 1998

 

Insbesondere die Bilanz von Ramona Brussig ist dabei atemberaubend: 20 Medaillen allein bei Paralympics, WM, EM bzw. Europaspielen. Die Highlights dabei waren zweifellos die paralympischen Goldmedaillen 2004 bei der Premiere des Frauen-Para-Judosportes in Athen bzw. 2012 in London sowie die beiden Silbermedaillen der Paralympics 2008 in Peking bzw. 2016 in Rio. Seit ihrem WM-Titel 1998 ist Ramona die globale Erfolgsjudoka auf der Tatami – und Carmen steht ihr kaum nach.

 

Carmen gewann nämlich seit 2005 insgesamt 16 Medaillen bei Paralympics, WM und EM. Auch für Carmen waren die paralympischen Medaillen – Gold 2012 in London, Silber 2016 in Rio und Bronze 2008 in Peking – unvergessliche Momente.

 

Einmaliges Erlebnis 2012

 

Zum paralympischen Doppelerfolg, sowohl Carmen als auch Ramona holten 2012 in London Gold, denkt Carmen immer wieder gern zurück: „Mein Traum ist in London 2012 in Erfüllung gegangen, der ganze Trainingsaufwand hatte sich gelohnt. Und es ist immer noch ein sehr emotionales Gefühl, als hätte ich erst gestern gewonnen. Man realisiert erst im Rückblick richtig, was man eigentlich erreicht hat. Ganz besonders ist natürlich, dass meine Schwester Ramona und ich gemeinsam, bei den gleichen Spielen, am gleichen Tag (30.August 2012) Gold gewonnen haben, das ist der „i-Punkt“ oben drauf, und ich denke, das hätte keiner erwartet oder gedacht. Das ist bis jetzt einmalig in der Geschichte, und wird sich auch nicht so schnell wiederholen.“

 

Ramona und Carmen prägten eine Ära

 

Ramona und Carmen prägten also wie keine andere Para-Judokas die Entwicklung und Geschichte ihres Sportartes, ja sie prägten eine Ära des Frauen-Para-Judosportes. Die beeindruckenden Resultate der Beiden bleiben unvergesslich, diese inspirieren, geben anderen Menschen mit Handicaps Mut, ihren Kampfgeist, ihren Enthusiasmus und ihr Engagement nicht zu verlieren.

 

Ihre Erfolge beruhen auf großem judosportlichen Talent, auf viel Trainingsfleiß und harten Entbehrungen, ohne die große Leistungen im Weltmaßstab nicht möglich sind.

 

Von wegen nicht so sportlich

 

Dabei galten die beiden Brussig-Zwillingsschwestern, die in Leipzig am 20.5.1977 geboren wurden (wobei Carmen 15 Minuten „älter“ als Ramona ist) einst als gar nicht so sportlich. Aber „Irren ist bekanntlich menschlich!“ – Und letztendlich konnten alle „sportiven Irrtümer dieser Welt“, den Erfolgsweg von Ramona und ihrer Schwester Carmen nicht aufhalten.

 

Seit 1986 dem Judosport verbunden

 

Im Alter von 9 Jahren, also im Jahr 1986, fanden beide ihren Weg zum Judosport. Dazu Ramona in einem früheren Interview (2012) „Ich kam eher durch Zufalle zum Judo-Sport. Eine Freundin nahm Carmen und mich zu einem Judo-Training mit und wir waren begeistert. Diese traditionsreiche Sportart ist auch gerade deshalb so interessant, da sie sich ständig weiterentwickelt: So gibt es neue Würfe, neue Techniken, man muss ständig dazu lernen. Judo ist eine Sportart, die auf vielseitige Weise fordert.“

 

Beide wurden mit einem extremen visuellen Handicap (Zapfen-/Stäbchendystrophie) geboren und hatten judosportlich sowie beruflich doch stets alles im Blick und im Griff.

 

Auch neben der Tatami erfolgreich

 

So war und ist beispielsweise Ramona – was ebenfalls für Carmen gilt – nicht nur sportlich, sondern auch beruflich bislang in der Erfolgsspur. So absolvierte sie zunächst eine Ausbildung zur Konditorin (wie auch Carmen) und widmete sich dann zudem noch einer Ausbildung zur Sport- und Fitness-Kauffrau. In diesem Beruf ist sie gegenwärtig beim Landessportbund M-V tätig.

 

Viel Lob vom einstigen Trainer

 

Ihr langjähriger Trainer beim PSV Schwerin, der 2014 im Alter von 47 Jahren viel zu früh verstorbene Trainer Matthias Hermann, meinte 2012 über seinen Schützling: „Ramona zeichnet sich vor allem durch ihre Willensstärke aus. Trotz verletzungsbedingter Rückschläge hat sie sich nie entmutigen lassen und konnte bei nationalen sowie internationalen Turnieren immer vorn mit kämpfen. Ramona verfolgt dabei sehr konsequent ihre Ziele. Ich habe sie auch gern in der Trainingsgruppe dabei, denn Ramona ist ein großes Vorbild gerade für die jungen Sportlerinnen und Sportler. Insbesondere unsere Judo-Mädel schauen zu ihr auf. Für den Nachwuchs nimmt sich Ramona auch entsprechend Zeit, um wichtige Tipps und Ratschläge geben zu können.“

 

Erfolge für die Ewigkeit

 

Jahrelang war der Judosport in M-V mit den Erfolgen von Ramona und Carmen verbunden – und er bleibt es auch nach dem sportlichen Rücktritt von Ramona. Bei Carmen steht es noch nicht zu 100 Prozent fest…

 

Zwar lief es aktuell in Tokio – in Japan waren sie übrigens 2017 zu einem sechsmonatigen Trainingslager – nicht wie erhofft. Aber mal ehrlich: Wer schafft mit 44 Jahren noch die Qualifikation zum größten Sportevent der Welt – den Olympischen und Paralympischen Spielen?! Carmen (Gewichtsklasse bis 48 Kilogramm) erreichte in Tokyo immerhin die Hoffnungsrunde, Ramona (Gewichtsklasse bis 52 Kilogramm) verpasste Bronze, wurde gute Fünfte! Auch das – aller Ehren wert!

 

Starkes Leistungsniveau im Para-Judo in Tokyo

 

In Tokyo 2021 war das Leistungsniveau ungemein stark. 22 Länder, so viele wie nie zuvor bei einem paralympischen Judo-Turnier, erkämpften Medaillen. Aserbaidschan wurde mit sechsmal Gold und zweimal Bronze erfolgreichste Para-Judo-Nation, gefolgt von Usbekistan mit jeweils zweimal Gold, Silber und Bronze und dem Iran mit zweimal Gold. Olympiasiege schafften nicht zuletzt Großbritannien, Brasilien und Algerien.

 

Insgesamt starteten bei den Paralympics 2021 in Tokyo 138 weibliche und männliche Judoka aus 41 Nationen. Aus deutscher Sicht gab es neben den guten Platzierungen von Carmen bzw. Ramona Brussig einen siebenten Platz für Nikolai Kornhaß in der Gewichtsklasse bis 73 Kilogramm und einen fünften Platz für Oliver Upmann in der Gewichtsklasse bis 100 Kilogramm.

 

Für Gastgeber Japan, 1988 in Seoul, 1992 in Barcelona und 1996 in Atlanta noch erfolgreichste Para-Judo-Nation, blieben 2021 lediglich zwei Bronzemedaillen – ein Desaster für das Mutterland des Judosportes.

 

Zur Info: Seit 1988 ist Judo paralympische Sportart – damals nur für die Herren. Seit 2004 dürfen auch die Frauen auf die paralympische Tatami.

 … Ansonsten: Bis zum sechsten von dreizehn Paralympics-Tagen in Tokyo gab es für Athletinnen und Athleten aus M-V dreimal Bronze: Die gebürtige Greifswalderin Verena Schott (für den BPRSV Cottbus startend) belegte die Plätze drei über die 200 Meter Lagen und 100 Meter Brust im Para-Schwimmen. Platz drei erreichte ebenfalls die gebürtige Neubrandenburgerin Lindy Ave (für die HSG Uni Greifswald startend) im 100 Meter-Sprint der Para-Leichtathletik.

 

M. Michels